Szenen drehen

Eine Art, wie man über das Aneinanderreihen von Szenen nachdenken kann, bezieht sich auf das Drehen von Szenen. Dazu braucht man nicht einmal eine Kamera. Was meine ich also, wenn ich sage, dass Szenen gedreht werden können?

Nehmen wir ein Beispiel:

Eine Frau betritt ein Café, um sich mit einer alten Schulfreundin zu treffen. Beide freuen sich einander nach all den Jahren wiederzusehen. Die Frauen versichern einander, dass es ihnen fantastisch geht. Sie lächeln sich über ihren Kaffee hinweg an und alles ist gut. Ende der Szene.

Die Leser könnten sich jetzt zurecht fragen, was Autor:in eigentlich sagen will. Es ist ja nichts passiert, nichts hat sich geändert. Relevant ist diesem Zusammenhang nicht so sehr ein mangelnder Aktionismus auf Seiten der handelnden Personen, sondern der gleich bleibende emotionale Level. Das, was Leser als Geschehen registrieren, ist der Unterschied zwischen der emotionalen Lage, mit der sie die Szene betreten und der emotionalen Lage, mit der sie die Szene wieder verlassen. Aus dieser Perspektive könnte man den Sinn einer Szene definieren, wenn man möchte. Diese Gefühlswelt des Lesers zu beeinflussen und zu verändern ist die eigentliche Aufgabe der Szene.

Zurück zum Café: Der Leser ist zu Beginn der Szene glücklich, die beiden Frauen vereint zu sehen. Das könnte man problemlos ändern. Deswegen gesteht die Eine im Gespräch, dass sie zu Schulzeiten mit dem Freund der Anderen geschlafen hat. Das wiederum nimmt die ehemalige Freundin zum Anlass der Geständigen ihren Kaffee ins Gesicht zu schütten. Jetzt ist der Leser interessiert! Ist das notwendig? Nein. Aber es funktioniert. Warum? Weil die Szene sich emotional gedreht hat. Vom Positiven ins Negative.

Das funktioniert auch umgekehrt: Die Protagonistin hatte einen furchtbaren Tag und trifft unverhofft ihre beste Freundin aus Schulzeiten wieder. Negativ nach positiv. Man kann auch die gleiche Emotion weiter eskalieren. Die Protagonistin trifft ihre beste Freundin aus Schulzeiten und diese schenkt ihr einen gemeinsamen Urlaub. Positiv nach extrem Positiv. Oder umgekehrt. Die Protagonistin endet nach einem ohnehin schlechten Tag mit heißem Kaffee im Gesicht im Krankenhaus. Negativ nach sehr negativ.

Wenn Autor:in Szenen baut, könnte sie also darauf achten, dass die Szenen eine emotionale Wendung haben. Entscheidet man sich dafür, sollte man darüber hinaus darauf achten, dass nicht mehrere Szenen nebeneinanderstehen, welche die gleiche emotionale Wendung aufweisen. Das registriert der Leser als Langeweile, ohne dass er weiß warum. Beim Strukturieren der Szenenabfolge, kann das schnell chaotisch und unübersichtlich werden. Deswegen ein kleiner Tipp zum Schluss: Wenn ich Szenen konzipiere, dann steht neben dem Titel der Szene immer in Klammern die Wendung: (+/-), (-/+), (+/++), (-/–), etc. Auf diese Weise behält man leichter den Überblick.

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