Szenen drehen (Szenen 3)

Ein Autor muss jede seiner Szenen drehen, aber zum Glück braucht er dafür nicht einmal eine Kamera. Was meine ich also, wenn ich sage, dass Szenen gedreht werden müssen?

Nehmen wir ein Beispiel:

Eine Frau betritt ein Café, um sich mit einer alten Schulfreundin zu treffen. Beide freuen sich einander nach all den Jahren wiederzusehen. Die Frauen versichern einander, dass es ihnen fantastisch geht. Sie lächeln sich über ihren Kaffee hinweg an und alles ist gut. Ende der Szene.

Der Leser fragt sich jetzt zurecht, was ihm der Autor eigentlich sagen will. Es ist ja nichts passiert, nichts hat sich geändert.

Relevant ist diesem Zusammenhang nicht so sehr ein mangelnder Aktionismus auf Seiten der handelnden Personen. Selbst Jonglieren mit Kaffeetassen hätte hier nicht viel geholfen. Wichtig ist etwas anderes.

Das, was der Leser als Geschehen registriert, ist der Unterschied zwischen der emotionalen Lage, mit der er die Szene betritt und der emotionalen Lage, mit der er die Szene wieder verlässt. Diese Gefühlswelt des Lesers zu beeinflussen und zu verändern ist die eigentliche Aufgabe des Autors. Das Jonglieren ist nur das Werkzeug.

Zurück zum Café: Der Leser ist zu Beginn der Szene glücklich, die beiden Frauen vereint zu sehen. Das darf so nicht bleiben.

Deswegen gesteht die Eine im Gespräch, dass sie zu Schulzeiten mit dem Freund der Anderen geschlafen hat. Das wiederum nimmt die ehemalige Freundin zum Anlass der Geständigen ihren Kaffee ins Gesicht zu schütten. Jetzt ist der Leser auch interessiert!

Warum? Weil die Szene sich emotional gedreht hat. Vom Positiven ins Negative.

Das funktioniert auch umgekehrt: Die Protagonistin hatte einen furchtbaren Tag und trifft unverhofft ihre beste Freundin aus Schulzeiten wieder. Negativ nach positiv.

Man kann auch die gleiche Emotion weiter eskalieren. Die Protagonistin trifft ihre beste Freundin aus Schulzeiten und diese schenkt ihr einen gemeinsamen Urlaub. Positiv nach extrem Positiv. Oder umgekehrt. Die Protagonistin endet nach einem ohnehin schlechten Tag mit heißem Kaffee im Gesicht im Krankenhaus. Negativ nach sehr negativ.

Wenn der Autor seine Szenen baut, muss er also darauf achten, dass sie eine emotionale Wendung haben. Er muss darüber hinaus darauf achten, dass nicht mehrere Szenen nebeneinanderstehen, welche die gleiche emotionale Wendung aufweisen. Das registriert der Leser als Langeweile, ohne dass er weiß warum. Beim Strukturieren der Szenenabfolge, kann das schnell chaotisch und unübersichtlich werden.

Deswegen ein kleiner Tipp zum Schluss: Wenn ich Szenen konzipiere, dann steht neben dem Titel der Szene immer in Klammern die Wendung: (+/-), (-/+), (+/++), (-/–), etc. Auf diese Weise behält man leichter den Überblick.

 

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IN SZENE SETZEN (SZENEN 1)

STRUKTUR EINER SZENE (SZENEN 2)

STRUKTUREN BAUEN (SZENEN 4)

3 Kommentare zu „Szenen drehen (Szenen 3)

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