Hier gebe ich tiefere Einblicke in Hintergründe und Bedeutungen verschiedener Motive in meinem Roman „Der Himmel wird zur See“. Spoiler lassen sich dabei nicht vermeiden.
Fun Fact 01:
Im Laufe der Geschichte werden immer wieder Zeilen eines Gedichtes zitiert. Es stellt sich heraus, dass es Cecilias Lieblingsgedicht war. Das Original ist von Rilke, aus dem Jahre 1902. Ich hatte keinen Platz für ein Rilke-Gedicht am Anfang, also habe ich es einfach Teil der Handlung werden lassen. Es heißt „Die Blätter fallen“. Hier ist es noch einmal in voller Länge:
Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.
Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.
Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.
Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.
Fun Fact 02:
In Kapitel 10, „Das vergessene Programm“, wird Mica eingeführt. Ich habe das zum Anlass genommen direkt aus „Alice im Wunderland“ zu zitieren. Die beiden Sätze: „Manchmal begegnen mir nicht weniger als sechs vollkommen unmögliche Dinge schon vor dem Frühstück“, sowie: „Ach Wahnsinn! Schatz, lass mich dir ein Geheimnis verraten: Die besten Menschen waren es alle.“, sind beide eng an Sätze in Lewis Carols Werk angelehnt.
Fun Fact 03:
Am Ende des ersten Kapitels singt der Rabe das Nessun Dorma, um Mica einen Gefallen zu tun. Das Nessun dorma (ital. „Keiner schlafe“) ist eine Arie zu Beginn des 3. Aktes der Oper Turandot von Puccini. In der Handlung der Oper verbietet die Prinzessin Turandot ihren Untertanen in Peking zu schlafen, bis sie den Namen des unbekannten Fremden herausfinden. Da es auch bis zum Kapitel 10 dauert, bis Mica Teil der Handlung wird und dann nochmal bis fast zum Ende des Buches, bevor ihre wahre Identität enthüllt wird, erschien mir diese Arie ein schönes Foreshadowing.
Fun Fact 04:
Die Idee im Zuge der Singularität von allen Menschen ausgerechnet die Gamer-Clans unermesslich mächtig und reich werden zu lassen, kommt nicht von mir. Die Idee hat Hannu Rajaniemi in seiner „Jean le Flambeur“-Trilogie bereits ausführlich entwickelt. (Wem das nichts sagt, der möge bitte umgehend alles liegen lassen und „The Quantum Thief“ von 2010 lesen!) Die Vampir spielenden Gamer sind eine ironische Hommage an das Rollenspiel Vampire: The Masquerade. In den Neunzigern konnte man spät abends Gruppen von getarnten Vampiren in den Innenstädten sehen, die sich den politischen Geschäften ihrer unsterblichen Familien widmeten. Sie bewegten sich unerkannt zwischen den Menschen. Warum sie im Zuge der Maskerade als normale Sterbliche immer vollständige Vampirkostüme trugen, habe ich nie herausgefunden.
Fun Fact 05:
Hannah und Andy begegneten mir zum ersten Mal in der Kurzgeschichte „Das Wichtigste“, welche ich als Beitrag für die Anthologie „Alien Contagium: Erstkontakt-Geschichten“ (2022) geschrieben habe. Die beiden hatten es mir auf Anhieb so angetan, dass ich schon nach der ersten Seite wusste, dass ich mehr über ihr Leben würde herausfinden müssen.
Fun Fact 06:
Nicht wirklich Fun, aber ein Fact: „Der Himmel wird zur See“ ist eine Alice-im-Wunderland-Geschichte. Die einleitenden Zitate und der Titel sollten dies unmissverständlich deutlich machen. Wir wissen heute, dass Lewis Carols großes Werk neben einem berühmten Beitrag zur Kinderliteratur auch ethisch hochgradig fragwürdige Zusammenhänge beinhaltet. Mir war dies bewusst, während ich mich mit dem Material beschäftigt habe, und ich habe es zum Anlass genommen, die moralischen Fragen mit in mein Werk aufzunehmen. Der Beitrag mit den Erklärungen zum Hintergrund findet sich auch auf meinem Blog.
Fun Fact 07:
Die vollständig schwarz gekleideten Diener der gefakten Vampirin mit ihren Masken und Irislinsen in den Brillen, sind an die analogen Boten in „Balde II“ angelehnt, dem Vampir-Actionfilm aus dem Jahr 2002. Dort bringen sie Blade zu Damaskinos, dem Vampirältesten. „Balde II“ ist jetzt kein absolut legendärer Beitrag zum Genre, aber ich entlehne in meinen Werken ja sogar Motive aus Matrix 3, ich habe also definitiv kein Schamgefühl.
Fun Fact 08:
In Kapitel 13, „Die verlorenen Seelen“, sucht ein Roboter die „Milch der Menschenliebe“. Er heißt Shakespeare, der Bezug ist also klar. Das Zitat selbst kommt aus Macbeth, 1. Aufzug, 5. Szene. Mir ist die Idee schon einmal begegnet, nämlich im Videospiel Fallout 4. Dort sucht ein Supermutant namens Strong ebenfalls nach dem Milch der Menschliebe.
Fun Fact 09:
In Kapitel 14, „Der blaue Schirm“, malt ein Roboter geduldig einen langen Schriftzug an eine Wand. Dort steht:
„Ich dachte, ich würde so tun, als wäre ich einer dieser Taubstummen.“ Das Zitat stammt aus dem Roman „Der Fänger im Roggen“, dem 1951 erschienenen und weltweit erfolgreichen Erstwerks des amerikanischen Schriftstellers J. D. Salinger.
Im vorangegangenen Kapitel trafen die Protagonisten einen Roboter, der versuchte der Menschheit näher zu kommen, um so sein zu können wir sie. Hier zitiert ein anderer Roboter aus der Geschichte eines Jugendlichen, der die Kultur seiner Zeit massiv angreift, allen voran die unnatürliche Falschheit der gesamten Erwachsenenwelt. Die grundlegende Dichotomie zwischen abgestoßen sein vom eigenen Schöpfer auf der einen Seite und angezogen und abhängig von ihm sein auf der anderen Seite, ist ein Hauptmotiv des Buches.
Fun Fact 10:
In Kapitel 20, „Die goldene Frau“ flüchten die Protagonisten in einen geheimen Bunker namens Grüner Dornenbusch, welcher unter einem ehemaligen Luxus-Resort gelegen ist. Die Vorlage ist „The Greenbrier“, ein tatsächliches Luxus-Resort in der Nähe von White Sulphur Springs, in West Virginia. Die Idee einer geheimen Bunkeranlage unter diesem Resort stammt aus dem Videospiel Fallout 76, wo man beides besuchen kann. Es ist aber Vorsicht geboten, denn die Gegend ist randvoll mit Ghulen.
Fun Fact 11:
Im Kapitel 5, „Das tiefste Rot“, singt der Rabe auf Französisch aus der Arie Habanera, oder L’amour est un oiseau rebelle (Die Liebe ist ein wilder Vogel). Die Arie ist Teil der Oper Carmen (1875) von Georges Bizet. Er singt:
Die Liebe ist ein wilder Vogel
den kein Mensch jemals zähmen kann,
ganz umsonst wirst du ihn rufen,
er löst sich stets aus deinem Bann.
Fun Fact 12:
Im Kapitel 15, „Das stille Haus“, singt der Rabe aus „O filii et filiae“ einem zwölfstrophigen, lateinischen Hymnus, der zu Ostern und in der Osteroktav gesungen wird. Der Text wurde 1494 von dem französischen Franziskaner Jean Tisserand geschrieben. Der Rabe singt:
O Söhne und Töchter des Königs, die die himmlischen Heerscharen in Herrlichkeit besingen, heute hat das Grab seinen Stachel verloren! Halleluja!
Das Grab, welches seinen Stachel verloren hat, ist ein Verweis auf die Auferstehung Christi. Da die Protagonistin im Begriff ist jemanden zu treffen, der auf die furchteinflößendst mögliche Art nicht wirklich gestorben ist, aber auch nicht lebt, können wir davon ausgehen, dass der Rabe ihn im Namen seine Herrin übel verspottet. Was nicht einer unerheblichen Ironie entbehrt, wenn man bedenkt, dass besagte Herrin ein ebenfalls nicht wirklich gestorbener, aber auch nicht lebender, gefakter Vampir ist. Wenn sich in Zukunft mal jemand fragt, wann ich eigentlich angefangen habe, hardcore religiöse Motive zu referenzieren, dann wäre hier der Punkt.
Fun Fact 13:
Der Armcomputer, den Hannah trägt ist natürlich eine Hommage an den Pip-Boy aus den Fallout Videospielen. Der Pip-Boy ist eine Serie von tragbaren Computern, die von RobCo Industries hergestellt werden. „Pip“ steht hierbei für „Personal Information Processor“ (englisch für „Persönlicher Informationsprozessor“). Das ist wichtige Allgemeinbildung.
Fun Fact 14:
Als sich der kleine Roboter Nono in das Werk geschlichen hat, war ich fest davon überzeugt, dass es eine irgendwie rollende Version der Pixar-Lampe wäre und fand die Idee total goldig. Als das Buch fertig war habe ich dann durch Zufall nochmal durch Star Wars: Episode IX gescrollt, ich weiß wirklich nicht warum. Dann sah ich D-0. D-O war der speziell angefertigter Datenspeicher- und -abrufdroide, der einst dem Sith-Attentäter Ochi von Bestoon gehörte und von BB-8 reaktiviert wurde. Und ich dachte: Großartig, das Motiv war auch viel zu gut, um von mir zu sein. Habe ich den Film gesehen, aus Notwehr alles wieder vergessen, aber dann unterbewusst D-0 im Herzen behalten? Absolut möglich. Ich bin sicher, dass passiert mir ständig.
Der Name Nono selbst kommt übrigens aus der japanisch-französische Anime-Serie Odysseus 31 aus dem Jahre 1981, die ich als Kind immer auf Tele 5 gesehen habe. Der Sohn des Protagonisten Odysseus hat auch einen kleinen Roboterfreund namens Nono.
Nono, so heißt auch der Staubsauger bei den Teletubbies …
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