Meine Helden 1 – Terry Pratchett

Es ist ungewöhnlich für mich eine solche Serie nicht mit meinem großen Vorbild Isaac Asimov zu eröffnen, aber das hat Gründe. Asimov war ein begnadetes, literarisches Genie und Wunderkind. Terry Pratchett jedoch hat einen ewigen Platz in meinem Herzen, weil er für mich wie kein anderer einen Autor repräsentiert, der sich über Jahrzehnte hinweg, unnachgiebig den Weg in seine eigene Stimme erkämpft hat.

Terry Pratchett ist uns durch seine unvergleichlichen Scheibenweltromane bekannt, von denen bis zu seinem Tod im Jahre 2015 über vierzig erschienen sind. Wie viele geborene Schriftsteller, hat auch Pratchett sein ganzes Leben lang geschrieben und veröffentlichte seine erste Geschichte schon im Alter von dreizehn Jahren. Doch obwohl er das Schreiben nie aussetzte und zügig mehrere Bücher publizierte, sollte er die zukünftige kreative Goldmine der Scheibenwelt erst 1983 mit The colour of magic (Die Farben der Magie) finden. Damals war er 35 Jahre alt.

Viele Autoren hätten jetzt schon zufrieden sein können, denn Pratchett war an dem Punkt, wo er von seinem Schreiben leben konnte. Nicht nur dass, er hatte seine Nische gefunden. Seine Scheibenwelt war einzigartig, seltsam, hochgradig unterhaltsam und voll irrwitziger Gestalten.

Doch an diesem Punkt begann Pratchett erst richtig produktiv zu werden und schrieb fortan bis zu seinem Tod fast zwei Bücher im Jahr.
Hier ist was ich an ihm absolut bemerkenswert finde:

Mitte der Achtziger Jahre hatte er seine Nische, seine Themen und auch seinen Stil gefunden. Seine Stimme aber … die hatte er noch nicht gefunden.
Verfolgt man seine Entwicklung durch die Romane in dieser Zeit, hat man das unterschwellige Gefühl, dass er selbst etwas fragend durch die Plots seiner Bücher tappte, auf der Suche nach etwas. Besonders deutlich spüre ich das in Pyramids (Pyramiden), Guards! Guards! (Wachen! Wachen!) und Moving Pictures (Voll im Bilde), in denen der spätere Pratchett schon anklingt, aber noch zögernd und verhalten.

Es dauerte tatsächlich volle zehn weitere Romane, bis er mit seinem zweiten Hexen-Roman Witches Abroad (Total verhext) das Buch vorlegte, dass mir zum ersten Mal laut und deutlich den Terry Pratchett präsentiert, wie wir ihn aus seinem Spätwerk kennen. Der Klamauk tritt zurück, die Struktur wir gradlinig und komplex, die Charakterzeichnung tritt in den Vordergrund und wir hören die Stimme des Mannes, der wie kein anderer humoristisch erzählt und dabei gleichzeitig tiefe emotionale Töne trifft. Das war im Jahre 1991. Pratchett war Mitte Vierzig.

Von diesem Buch an preschte Pratchett wie eine Naturgewalt voran, schien sich mit jedem Buch selbst übertreffen zu wollen und baute dabei kontinuierlich sein Universum weiter aus. Die Hexenromane wurden auf einer Schiene vorangetrieben, die Wachen-Romane auf einer anderen und man hatte den Eindruck, dass er für immer auf diesem Level weitermachen könnte. Tat er aber nicht.

Es dauerte weitere zwölf Romane(!) bis er im Jahre 1999 The Fifth Elephant (Der fünfte Elefant) vorlegte. Pratchett hatte die Fünfzig bereits überschritten. Aber jetzt, wo ich als Leser nicht einmal ahnte, dass es da noch weitere Steigerungen geben könnte, ging es erst richtig los.

Mit diesem Buch, dem dreiundzwanzigsten Roman auf der Scheibenwelt, hob er sein ganzes Schreiben nochmal auf einen höheren Level. Auf einmal wurden die Themen ernsthaft politisch. Das waren sie auch schon vorher gelegentlich, aber niemals in dieser gnadenlosen Ausdrücklichkeit. Es war, als wäre das Geplänkel beendet und Pratchett begann ernst zu machen. Zuvor gab es, hin und wieder, das eine oder andere deutliche Wort, aber hier steht auf einmal der Protagonist in Unterhose erfrierend im verschneiten Wald und ertränkt Werwölfe mit bloßen Händen. Dieser Pratchett war eine ganz andere Hausnummer!

Und immer, wenn man bei ihm dachte, das wäre es jetzt gewesen, holte dieser Mann von irgendwoher noch einmal Energie, um sich zu steigern.
Die folgenden zehn Bücher bilden einen literarischen Zenit, der mich bis heute sprachlos macht. Ich schreibe selbst, aber ich habe nicht auch nur eine vage Idee, wo Pratchett Werke wie Thud! (Klonk!) Oder Nightwatch (Die Nachtwächter) hergeholt hat. Es ist eine verdammte Schande, dass heute jeder Idiot Literaturpreise nachgeschmissen bekommt und Werke wie Nightwatch unbeachtet bleiben, weil sie Fantasy sind.

Als dieser brillante Autor dann im Jahre 2007 seine Alzheimer-Diagnose öffentlich machte, hätte ich heulen können. Und natürlich war es eine frühe, aggressive Form.
Als hätte ein alter, böser Gott beschlossen, dass hier jemand zu schnell zu gut geworden war und gestoppt werden musste, bevor er dem Universum die Naturgesetze unterm Hintern wegschreibt.

Wer gewohnt ist, die Strukturen von Romanen sorgfältig zu beobachten und zu verfolgen, konnte in den folgenden Jahren Zeuge werden, wie es in den Fundamenten seiner wundervollen
Spätwerke leise zu bröckeln begann. Und dennoch, wie zum Trotz, legte er mit Snuff (Steife Prise) noch einmal eine Ansage vor, die wie ein Donnerschlag über die Scheibenwelt hallte.
Doch danach verließ er uns, Stück für Stück.
Raising Steam (Toller Dampf voraus) musste ich beiseitelegen, weil es mich zu traurig machte. Sein letztes Werk, seinen Abschiedsroman The Shepherd’s Crown (Die Krone des Schäfers) konnte ich über ein Jahr lang nicht einmal ansehen, ohne dass mir die Tränen kamen.
Es ist sein letzter Hexenroman, in welchem seine berühmteste Protagonistin, die von allen bewunderte und verehrte Hexe Granny Weatherwax ebenfalls von uns geht. Es ist schwer zu sagen, oder er ihr folgte, ob sie ihm.

Terry Pratchett steht für mich wie kein anderer Autor für jemanden, der sein Leben lang das befolgt hat, was ich heute jedem Autor predige, der es hören will und auch allen, die es nicht hören wollen:

Die eigene Stimme fällt nicht vom Baum. Man muss hart um sie kämpfen und man weiß nie mit Gewissheit, wann sie sich offenbart, oder ob man sie schon gefunden hat. Manche Autoren finden sie im ersten Buch. Andere erst nach dreißig Büchern und manchmal muss man gehen, wenn man gerade erst gelernt hat sie zu benutzen. Niemand kennt die Gesetze, nach denen dies passiert und es scheint, als hätten wir herzlich wenig Einfluss darauf. Es gibt jedoch ein paar Dinge, die wir tun können:
Viel Schreiben hilft viel.
Fortwährend kritisch auf das eigene Werk blicken.
Niemals aufgeben und niemals zufrieden sein.
Immer auf der Suche bleiben. Der nächste Level mag sich verstecken, aber er ist da.

… und wenn die Gesellschaft kommt und einem genau erklären kann, was genau schlecht und falsch an den eigenen Büchern ist, dann einfach mit den Fingern in den Ohren weitertippen (das bedarf möglicherweise ein wenig Übung).

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