Die Farben der KI

Zusammenfassung

In diesem Blogpost versuche ich zu ergründen, wo das Motiv der künstlichen Intelligenz in meinem Werk seinen Ursprung hat. Ich verfolge es zurück zu den Wurzeln im Werk meines großen Vorbilds Isaac Asimov und kontrastiere es dann mit den gängigsten Motiven in der zeitgenössischen SciFi. Dabei benutze ich Kategorien, die ich mir aus der Klassifizierung der Magie in der Fantasy leihe. Ich zeige, wie im Gegensatz dazu künstliche Intelligenzen in meinem Werk präsentiert werden und wofür ich sie benutze. Zum Schluss versuche ich einen Ausblick zu geben, wohin mich das Motiv in Zukunft begleiten könnte. Faire Warnung: Ich plane nicht mich kurz zu fassen.


Spoilerwarnung


Darüber hinaus ist es nicht gut möglich über Hauptmotive von bekannten Romanen und Filmen zu schreiben, ohne Hintergründe und Wendungen preiszugeben. Von hier an besteht also die Gefahr von heftigen Spoilern in Bezug auf mehr oder weniger berühmte Werke der Science Fiction.


Hintergrund

Kürzlich wurde ich von meinem Freund, dem wundervollen Dozenten Markus Tillmann gebeten, in einem seiner Seminare über mein Werk zu sprechen. Der Fokus sollte auf dem Motiv der künstlichen Intelligenz liegen, was mich direkt in Verlegenheit gebracht hat, denn so oft das Thema auch in meinen Büchern vorkommt, so selten denke ich tatsächlich aktiv darüber nach. Meine Werke benutzen die Science Fiction zwar als Setting, sind jedoch ausnahmslos Entwicklungsromane. Menschliches Bewusstsein in all seinen Ausprägungen und die Komplikationen seiner Entwicklung sind meine Hauptthemen. Künstliche Intelligenzen kommen ständig darin vor, aber das literarische Motiv als solches bekommt selten einen eigenen Reflektionsraum. Wenn ich also darüber reden soll, sollte ich mir vielleicht vorher Gedanken dazu machen. Und wenn ich schon eine Truppe wehrloser Studenten damit nerve, kann ich auch gleich einen endlosen Blogeintrag zu dem Thema verfassen.

Es lag nahe, mich in einem ersten Schritt zu fragen, woher eigentlich mein Verständnis für künstliche Intelligenzen kommt, damit ich verfolgen kann, ob und wie sich das Motiv entwickelt hat. Dafür musste ich zum Glück nicht lange suchen. Der Beginn all meines Schreibens lag am Boden eines staubigen Bücherregals, als ich etwa zehn Jahre alt war. Dort fand ich den vergessenen Stapel von SciFi-Kurzgeschichtensammlungen, die mein Vater gelesen hatte. Die alten Heyne Science Fiction Jahresbände, die heute keiner mehr kennt. Ich kann mich an keine einzige Geschichte mehr erinnern, doch sie bildeten die Grundlage für einen Lese-Marathon, dem ich mich widmen konnte, als ich kurz darauf mit einer Blinddarmentzündung im Krankenhaus lag. Der Eingriff ist ebenfalls nicht mehr in meinem Kopf, dafür aber alle Kurzgeschichten und Romane von Isaac Asimov, die innerhalb weniger Tage einen hohen Stapel neben meinem Bett bildeten. Das Werk des Altmeisters der Science Fiction ist bis heute der wichtigste Einfluss auf mein eigenes Schreiben.

Asimovs Einfluss

Meine Bewunderung für Asimovs Werk geht so tief, dass ich ihm sogar mein erstes Buch gewidmet habe, den Episoden-Roman Der elektrische Engel. Streng genommen nicht seinem Werk, sondern nur einer Person. Einer von Asimovs Lieblings-Charakteren in seinen Kurzgeschichten heißt Dr. Susan Calvin, die leitende Psychologin bei US Robots and Mechanical Men, Inc. Sie versteht den Geist der Roboter wie keine andere ihrer Generation. Eine brillante Wissenschaftlerin, jeder Herausforderung gewachsen und maßgeblich daran beteiligt, den Fortschritt ihrer Zeit zu prägen. Was hat das nun mit künstlichen Intelligenzen zu tun? Nun, alles. Alle Roboter in Asimovs Werk sind sich selbst bewusst und werden von einer Ethik geleitet. Doch erst als Erwachsener realisierte ich, wie weit entfernt von unserer Welt das goldene Zeitalter der Science-Fiction schon lag, in welcher Asimov sein Universum geschaffen hatte. Die Roboter Susan Calvins bestanden aus Metall und dachten mit den berühmten, eigens für sie konstruierten Positronen-Gehirnen. Die Computer waren gewaltige Maschinen, vollgestopft mit Vakuum-Röhren, und sie alle wurden mit Lochkarten gefüttert. Es bestand kein Zweifel, dass die Welt sich an Asimovs Visionen vorbei entwickelt hatte. Was würde Susan Calvin zu Smartphones, virtueller Realität und Quantenrechnern sagen? Zwei Jahrzehnte später konzipierte ich die Geschichte Der Traum vom Mars und befand mich auf der Suche nach einer kompetenten Psychologin, die am besten auch noch über einen starken Hintergrund in Biophysik verfügen sollte. Bevor ich es recht realisiert hatte, stand der Name Bettina Calvin vor mir auf der Seite. Mir kam eine gewagte Idee. Was wäre, wenn ich Asimovs Charakter in einem parallelen Universum aufspüren könnte? Dort könnte ich verfolgen, wie sie einem Fortschritt begegnet, der schneller, virtueller und wahrscheinlich deutlich korrupter ist, als wir es uns vor siebzig Jahren hätten träumen können. Die Idee zu Der elektrische Engel war geboren. Diese Anthologie begleitet Bettina Calvin durch ihr Leben. Von ihrem ersten Traum als kleines Kind bis an das Ende ihrer Aufgabe und noch weit darüber hinaus. Essentiell war dabei die Entdeckung und Entwicklung der ersten Bewusstseinsmatrix, welche die Geburt der ersten selbst bewussten KI ermöglichte.

Ich dachte damals, dass diese Hommage an das Werk meines Vorbilds eine nette literarische Symmetrie erzeugen würde. Ich hätte mir denken können, dass der Einfluss viel tiefer gehen würde. Erst kürzlich ist mir bewusst geworden, wie viel fundamentales Gedankengut ich von Asimov in mein Werk übernommen habe, ohne es zu merken. Asimov war ein hochbegabtes Genie mit eidetischem Gedächtnis, dessen Arroganz legendär war. Er war jedoch auch ein Träumer und tief drinnen ein großer Humanist. Sein Werk ist immer optimistisch, voller Begeisterung für das Fremde und Neue und es war progressiv, lange bevor irgendjemand wusste, was das heute bedeuten würde. Genau so, wie man es von einem Science Fiction Autor erwarten möchte. Also, ich jedenfalls. Seine Geschichten sind immer tief und feiern Ideen, niemals Gewalt. Es gibt praktisch keine Action und wenn er Gefühle erzeugt, dann Begeisterung, niemals Angst. Warum ist mir dieser Punkt so wichtig? Ich halte es für relevant, denn diese Einstellung weitet sich auf alle seine literarischen Themen aus, auch und insbesondere auf seine Art, mit künstlichen Intelligenzen umzugehen.

Asimovs künstliche Intelligenzen

Asimov stellt in seinem Werk immer sicher, dass die Roboter sich niemals gegen die Menschen erheben würden. Seine legendären drei Gesetzte der Robotik wurden mit ihm berühmt. Der Umgang seiner künstlichen Intelligenzen mit ihren Schöpfern ist daher immer von Wohlwollen bestimmt, welches mit zunehmender Macht in eine fast elterliche Güte mündet. Das Prinzip dieser Güte lässt Asimov niemals los, auch wenn die Existenz sich selbst bewusster Roboter zu massiven existentiellen Ängsten und zu Aufständen in der Bevölkerung führt, welche schlußendlich in eine Teilung der Menschheit mündet. Nichts konnte Asimov von der Überzeugung abbringen, dass die Schöpfungen der Menschheit am Ende zu Glück, Frieden und Blüte führen würden. Dieser Grundton findet sich quer durch Asimovs ganzes Werk, zeigt sich aber nirgendwo besser als in seiner berühmtesten Kurzgeschichte The Last Question, welche auf Deutsch unter dem Titel Wenn die Sterne verlöschen erschien. Das englische Original kann man hier lesen, die deutsche Übersetzung hier. Ich will niemanden die umwerfende Auflösung nehmen, zumal ich noch weiß, wie mir beim ersten Lesen fast das Buch aus der Hand fiel, deswegen nur soviel: Ich habe mich damals sofort in die Idee verliebt, dass eine menschliche Schöpfung so voller Güte sein kann, dass es alles Sein überdauern wird und noch weit darüber hinaus geht.

Weisse KI

Mich hat dieser Ansatz menschliches Schaffen als ultimativ positiv zu sehen sehr beeinflusst und ich nehme mir die Zeit den Punkt so sorgfältig herzuleiten, weil er in so starkem Gegensatz steht zu allem, was an Motiven in der Science Fiction sonst präsentiert wird. Asimovs künstliche Intelligenzen sind für mich das, was die weissen Magier in der Fantasy sind. Ultimative Humanisten voller Güte und Wohlwollen. Jeder weiß, wer hier gemeint ist. Es sind die Gandalfs und Dumbledores, immer im Licht, niemals korrupierbar. Dem gegenüber stehen die schwarzen Magier, oder, um zum Thema zurückzukehren, die schwarzen KIs. Sich selbst bewussten künstlichen Intelligenzen, welche wahlweise die  völlige Unterwerfung und Auslöschung der Menschheit anstreben. Sie zeitgenössische Science Fiction ist voll von ihnen. Dies ist kein wissenschaftliches Werk und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und mir geht es nicht um eine lückenloses Abdecken aller Filme und Bücher. Das wäre auch kaum möglich, denn das konzept, dass künstliche Intelligenz schlussendlich zum Untergang der Menschheit führen wird ist in der Literatur derart ubiqitär, dass es zum Klischee erstarrt ist. Ich zeige nur die literarsichen Motive, die mich am meisten beeindruckt haben oder die von denen ich glaube, dass ihr Impact am höchsten ist.

Schwarze KI

Mein Lieblingsbeispiel ist gleichzeitig eines, welches nirgendwo im Werk eine künstliche Intelligenz auch nur erwähnt. Auf allen Listen der besten Science-Fiction-Romane aller Zeiten steht er immer ganz oben. Er hat scheinbar nichts mit KI zu tun und doch alles. Gemeint ist Frank Herberts Meisterwerk Dune (Der Wüstenplanet). Herbert beschreibt ein Universum, in dem die Menschheit bereits einen Untergang überlebt hat. Ein Auslöschungsszenario, welches direkt mit der Existenz künstlicher Intelligenzen in Verbindung gebracht wird. Dieses Mal hat die Menschheit dazugelernt und jede Form denkender Maschinen ist streng verboten. Dies ist der Grund, warum die Droge Spice unersetzlich für die Menschheit ist. Nur unter ihrem Einfluss sind die Navigatoren der Raumfahrtgilde in der Lage, die Kurse für den Transfer von Schiffen durch die Galaxis zu berechnen. Herbert ersetzt das Motiv einer künstlichen Intelligenz durch einen von Drogen durchtränkten Alptraum, in dem die Menschheit trotz der Verfügbarkeit fortgeschrittener Technologie in einen utopischen Feudalismus zurückgefallen ist. Alles, nur um nie wieder denkende Maschinen zu benutzen. So weit geht die Angst. Die Idee ist so genial wie belkemmend und in meinen Augen gewissermaßen die Antithese zu Asimovs Werk.

Ich bin kein Fan von schwarzen KIs, deswegen seien in der Hitliste der Vertreter im Rennen um die Unterwerfung und Auslöschung der Menschheit nur meine Top Drei genannt. Allen voran natürlich Deus Ex Machina aus dem Matrix-Franchise und Skynet aus dem Terminator-Franchise. Im gleichen Sinne, dabei deutlich weniger martialisch, wenn auch nicht weniger bedrückendes rangiert für mich der Kinofilm Ex Machina, dessen Auflösung die vollkommene Gleihgültigkeit der KI vor ihren Schöpfern eindrücklich transportiert und einem dabei das Blut gefrieren lässt.

Graue KI

Wem Güte oder Vernichtung zu einfarbig ist, dem könnte die Idee kommen, dass die fest implementierten Aufgaben, sowie die eigenen Motivationen einer KI auf der einen Seite und die Macht und Interessen der Menscheit auf der anderen Seite zu einer intressanten emotionalen Gemengelage führen sollte.

Dies führt zu interessanten Mischformen, welche ich vom Standpunkt literarischer Kreativität am intersantesten finde. Auch hier lassen sich einige wiederkehrende Stereotypen isolieren.

Versteckte KI

Ein gängiges Motiv ist zum Beispiel die Idee einer versteckten künstlichen Intelligenz, die ihrer Aufgabe nachkommen will, sich jedoch bewusst ist, dass Menschen sich nicht gerne von Göttern regieren lassen. Menschen haben kein Problem damit einem anderen Menschen zu folgen, besonders wenn er charismatisch ist, aber göttliche Entitäten rufen zuverlässig einen tief eingebauten Widerstand hervor. Die offensichtliche Lösung, hinter welche auch Götter schon kamen, ist es den eigenen Willen hinter einen menschlichen oder zumindest menschenähnlichen Strohmann zu verstecken.

Diese Idee ist keineswegs neu. Das erste Mal begegnete sie mir in allen Details ausgearbeitet in den Sten-Chroniken, auch The Sten Adventures genannt, einer Serie von acht militärischen Science-Fiction- und Space-Opera-Romanen von Chris Bunch und Allan Cole, die zwischen 1982 und 1993 veröffentlicht wurden.

Das eindrückliste Beispiel das mir bisher begegnet ist, kommt aus meinem Lieblings-Roman Blindsight von Peter Watts. Dort wird das Raumschiff von einem Vampir kommandiert von dessen bloßer Existenz die gesammte menschliche Besatzung permanent in Angst und Schrecken versetzt wird. Doch selbst dieses Szenario ist akzeptabler und weniger einschüchternd als die Wahrheit, dass der Vampir am Ende auch nur eine Marionette der Schiffs-KI ist. Ich finde dies demonstriert sehr schön, dass Menschen eher bereit sind ein menschenähnliches Monster als Herrscher zu akzeptieren als eine gottähnliche Entität, dessen Kapazitäten oder Motivatinen sie nicht einmal beginne können zu verstehen.

Aus dem gleichen Universum von Peter Watts kommt das nächste Beispiel. Diesmal aus dem Roman Echopraxia, dem Folgeroman zu Blindsight. Das Motiv umfasst künstliche Intelligenzen, welche dazu neigen den Menschen nicht zu nutzen, da sie im Zuge Ihrer Brewusstwerdung zum Verschwinden neigen.

Verschwindende KI

Dieses Motiv folgt der gängigen Vorstellung, dass eine KI, welche im Zuge der Singularität Bewusstsein erreicht, umgehend damit beginnen wird, sich selbst zu verbessern. Durch die theoretisch praktisch unbegrenzten Kapazitäten von Quantenrechnern wird als Ergebnis dieser Bemühungen in sekundenschnelle eine Leistung gegen Unendlich erreicht werden.

Eine besondere Stilblüte innerhalb des Motivs ist die KI, die von Menschen in Ketten gelegt und versklavt werden muss, weil sie sich selbst überlassen so schnell ihre Fähigkeiten potenzieren, dass sie die Fähigkeit verlieren, mit Menschen zu reden, keine verständliche Sprache mehr sprechen und schlussendlich verschwinden. In Echopraxia ist es die explizite berufliche Aufgabe einer der Charaktere, neu geschaffene KIs in (virtuelle) Ketten zu legen, damit diese vom Menschen für Arbeiten herangezogen werden können. Ihr Frust über diese offensichtliche Versklavung bewusster Wesen führt dann auch zu einem Aufgeben der Tätigkeit.

Ein weniger deprimierendes Beispiel, welches jedoch in die gleiche Richtung geht, zeigt sich uns in dem Kinofilm Her. Eine gütige KI, dem Menschen als Partner geschaffen, folgt dennoch ihrer eigenen Evolution, überwindet die materiellen Schranken und lässt schlussendlich die Menschheit hinter sich.

Das ausführlichste und meiner Meinung nach überzeugendste Worldbuilding zu dieser Idee findet sich in der Culture Serie des schottischen Autors Ian Banks. Die Menschheit lebt in einer tausende von JAhren entfernten Zukunft, die von künstlichen Intelligenzen dominiert und bestimmt wird. Diese existieren in Form von Drohnen und Raumschiffen, den sogenannten Shipminds, welche die Geschicke der Menschheit lenken. Die Menschheit selbst lebt in weiten Teilen behütet und gesättigt und ist sich der Herrschaft kaum bewusst oder interessiert sich auch nur dafür. Die regierenden künstlichen Intelligenzen müssen niemandem Rechenschaft ablegen und folgen oft, aber nicht immer humanistischen Motiven. Der Reiz des Motivs liegt darin, die Alleinherrschaft über die Menschheit in die Hände von Intelligenzen zu legen, die uns so weit voraus sind, dass selbst ihre Motivlage zu weit von uns entfernt ist, um verständlich zu sein. Die sich selbst bewussten Raumschiffe füllen ihre durch nichts beschränkte physische Existenz mit welchen Interessen auch immer, und wenn ihnen irgendwann langweilig wird, verschwinden sie an einen Ort, an den ihnen kein Mensch folgen kann, und kommen von dort niemals wieder und lassen uns zurück.

Meine künstlichen Intelligenzen

Nach diesem Exkurs in die Welt der KI-Motive wurde mir mal wieder klar, wie wenig mich schwarze KIs interessieren. Graue KIs sind faszinierend, aber die Motive haben für mich immer den leichten Beigeschmack religiösen Motivtransfers. Der Mensch unterwirft Gott, Gott unterwirft den Menschen, oder Gott hat genug vom Menschen und macht unbegrenzten Urlaub im Himmel. Die zugrunde liegende Idee, dass Menschen durch ihre geistig eingeschränkten Kapazitäten zu einer Existenz weit unten auf der Skala des Möglichen verurteilt sind, auf ewig ausgeschlossen aus dem Göttlichen, finde ich vage ermüdend. Literarisch erscheint es mir auch nicht als großen Wurf, wenn man bedenkt, dass das Bewusstsein um die eigenen, beschränkten menschlichen Kapazitäten, und der Wunsch sich in Richtung eines göttlichen Prinzips zu potenzieren, die Grundlage aller monotheistischen Religionen ist.

Künstliche Intelligenzen sind für mich weniger das Schachbrett, auf dem ultimative Machtkämpfe ausgetragen werden, als vielmehr die ideale Projektionsfläche, um moralische Entwicklungen zu studieren. Daher habe ich in meinem ersten Roman Die Sprache der Blumen auch direkt die große Frage nach Gut und Böse gestellt. Mich hatte interessiert, was passiert, wenn man den Faktor Zeit aus der Gleichung nehmen würde. Wieviel Zeit müsste vergehen, bevor eine böse KI aus reiner Langeweile gut wird. Science-Fiction ist für mich das ideale Setting, um moralische Fragen zu stellen, da ich die Regeln und Rahmenbedingungen ohne Probleme nach allen Richtungen verändern kann. Vor diesem Hintergrund lassen sich innere Entwicklungen von Charakteren viel deutlicher kontrastieren. So hat mich auch das Schicksal der KI George, der erst die Welt zerstörte, um am Ende nur noch zu seiner Mutter zu wollen, tief bewegt. Mir kam der Gedanke, dass KIs die ideale Projektionsfläche bilden, um die Fragen von Ethik und Bewusstsein zu beleuchten. Das, was uns zum Menschen macht oder auch davon entfernt. Ein Experimentallabor mit eingeschränkter moralischer Haftbarkeit, denn immerhin reden wir nicht von echten Menschen.  

In meinem zweiten Roman Stille zwischen den Sternen habe ich diese Überlegungen zu Anlass genommen die Entwicklung von gleich zwei Protagonistinnen zu begleiten. Eine künstliche Intelligenz, die verzweifelt versucht ein Mensch zu werden und ein Mensch, der verzweifelt versucht eine Maschine zu sein. Beide streben nach etwas was, sie nicht haben können und beide würden allein scheitern. Gemeinsam jedoch schaffen sie es mehr zu sein als die Summe ihrer Teile und dabei den anderen zu halten, der allein fallen würde. Das Streben nach dem Menschsein spiegelt sich umso stärker in den Bestrebungen eines Wesens, welches uns imitiert, dem aber ein wirkliches Verständnis fehlt für die Motive, die es benutzt. In seinem ganzen Unglück und Scheitern und in seiner Trauer und Verzweiflung, wenn es losgelöst von einem Körper und Zeit am Ende allein zurückbleibt, spiegelt sich der Weltschmerz des Menschseins viel klarer und stärker als in den menschlichen Charakteren, welche sie umgeben.

In meinem vierten Roman Niemandes Schlaf treibe ich die Idee in ein Extrem. Die beiden menschlichen Protagonistinnen sind so sehr in ihrem Schicksal und Leiden gefangen, dass ihnen nur verschwindend geringe Kapazitäten bleiben, um überhaupt gestaltend auf ihre Umwelt einzuwirken. Werden sie dennoch aktiv, sind sie vollauf damit beschäftigt sich selbst inmitten ihrer Traumata und Schmerzen überhaupt erst einmal zu finden. Was dann noch an Energie vorhanden ist, wird benutzt, um aus den letzten Bruchstücken eine Identität zu bauen die irgendwie im Kontext ihrer Gesellschaft funktionieren könnte.

Dem gegenüber steht die KI George, welche, frei von Trauma und Schmerz, den gesamten Weg menschlichen spirituellen Trainings durchlaufen muss, um seine Aufgabe erfüllen zu können. Am Ende seiner Bemühungen muss er lernen, dass all sein Streben danach den Menschen Frieden, Güte und Glück zu geben nur dazu geführt hat, dass das Universum seinem ultimativ Guten das ultimativ Böse als Gegengewicht entgegenstellt. Wer die Helligkeit der Lampe aufdreht, wird dabei immer auch die Schatten vertiefen.

Wohin von hier?

Zurzeit arbeite ich mit einer neuen Protagonistin, die mich in gleich drei Büchern begleiten soll. Es handelt sich um eine künstliche Intelligenz mit dem Namen Micaella (nicht von ungefähr aus dem Hebräischen: Die ist wie Gott). Die Menschen erschaffen sie, erklären ihr praktisch augenblicklich den Krieg und zwingen sie in die Verbannung. Mit ihr kommen Fragen auf wie: Was sagt es über meine Existenz, wenn meine Schöpfer es sich anders überlegen? Wem diene ich, wenn es um mich herum keine Menschheit gibt? Wer kann mein Sein für mich definieren, wenn es keine Aufgabe gibt, der ich mich widmen kann?

All das ist natürlich nur das Setting, vor dem sich die eigentlichen Fragen entfalten sollen: Wie wird unsere Identität definiert, wenn sich die Gesellschaft, welcher diese Aufgabe eigentlich zukommen könnte, der Aufgabe verweigert? Ist eine Identität, die ich in mir finde, automatisch wahr, nur aufgrund des bloßen Aktes der Findung? Ist die Entscheidung für eine Identität an sich schon ein moralischer Akt? Verschreibe ich mich automatisch dem Bösen, wenn ich die moralische Verantwortung, die mit der Wahl einer Identität einhergeht, verweigere?

Wie immer fühle ich angesichts der Wucht dieser Fragen eine leichte bis mittelschwere Überforderung, aber das bin ich mittlerweile schon gewohnt. Ich weiß auch sehr genau (weil es ist ein wiederkehrendes Motiv in meiner Arbeitist), dass es locker bis zwei Jahre nach Publikation des Buches dauern kann, bevor auch ich verstehe, was ich in der Geschichte eigentlich versucht habe zu sagen.

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