Es gibt unzählige Möglichkeiten die Struktur eines Romans in Schieflage geraten zu lassen. Einige von diesen Fehlern lassen sich kaum noch beheben, wenn das Buch einmal geschrieben ist. Dankbarerweise gibt es ein paar übliche Verdächtige, nach welchen man schon früh Ausschau halten kann. Hier zeige ich vier Klassiker, die mir selbst noch bei Autoren begegnen, die es angeblich schon geschafft haben und in einem der großen Verlage publizieren.
1. Das Investment des Protagonisten
Der Protagonist begibt sich nicht auf seine Reise, weil er eine Wahl hat. Es muss ein hohes Maß an Dringlichkeit für sein Handeln geben. Der Autor muss dafür sorgen, dass sein Held keine andere Möglichkeit hat als genau so tätig zu werden, wie es sich dann in der Handlung offenbart. Die Faustregel ist: Dem Protagonisten präsentieren sich mehrere mögliche Handlungsoptionen, die alle gleich beschissen sind.
Beispiel Herr der Ringe: Frodo hat zwei Möglichkeiten. Entweder er bleibt Zuhause und wird nur Minuten später von einem Gesandten des Antagonisten gefangen, oder er begibt sich auf eine Mission, die vollkommen absurd, lächerlich aussichtslos und von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist.
2. Der direkte Weg zum Ziel
In dem Moment, wo zu Begin des Buches der Hauptkonflikt erfolgreich etabliert wurde, sollte jede Episode, jedes Kapitel und jede Szene, bis runter zum einzelnen Beat und Satz auf das Ende des Hauptkonfliktes hinarbeiten. Alles, was nicht auf diese Lösung zielt, kann ersatzlos gestrichen werden. Man erkennt diese Abschnitte immer daran, dass man sie komplett aus dem Buch nehmen kann, ohne dass es der Handlung schadet.
Beispiel Herr der Ringe: Der komplette Teil mit Tom Bombadil im alten Wald trägt streng genommen nichts zur Handlung bei. Es gibt dem Leser interessante Informationen über die Welt und vertieft sein Wissen über die ur-alten Wesen, die darin leben, aber in Bezug auf den Ringkrieg kann man diese Episode komplett überspringen. Deswegen ist sie auch nicht in den Filmen enthalten.
3. Der zähfließende Mittelteil
Der Anfang und das Ende des Romans haben oft eine sorgfältig ausgearbeitete Spannungskurve. Der Begin, weil man den Hauptkonflikt möglichst effektiv in Szene setzen will und das Ende, weil man den Konflikt möglichst dramatisch auflösen will. Dabei wird der Mittelteil gerne vergessen. Der Mittelteil braucht unbedingt eine eigene Spannungskurve und die eine oder andere effektvolle Wendung, sonst schlafen einem die Leser ein.
Beispiel Herr der Ringe: Der zweite Band war für mich als Kind gefühlt immer der längste. Ich hatte den Eindruck, dass alle Beteiligten in diesem Buch hauptsächlich wirr durch die Gegend laufen und einander suchen. Das ist auch tatsächlich bis zu einem gewissen Grad der Fall. Tolkien wusste das auch und hat die stärkste Wendung der ganzen Trilogie (Die Rückkehr Gandalfs) nicht umsonst in den Mittelteil gelegt.
4. Das langweilige Ergebnis
Die Auflösung des Hauptkonflikts heißt im Englischen nicht umsonst Payoff. Hier wird der Leser dafür belohnt, dass er so lange durchgehalten hat. Diese Belohnung muss es ihm wert erscheinen lassen, sich die Zeit für das Buch genommen zu haben. Wenn das Böse am Anfang droht die Welt zu vernichten, im Mittelteil den Protagonisten auf links dreht und am Ende die Welt zerstört, fühlt sich der Leser zurecht um seine Zeit betrogen. Der Autor muss schlüssige Antworten auf Fragen des Lesers liefern: Warum habe ich jetzt das ganze Buch gelesen und was wollte der Autor mir eigentlich damit sagen? Hier ist auch der Platz für die großen, überraschenden Wendungen. Faustregel für die Auflösung: Es muss absolut offensichtlich sein, wie es enden wird, denn es kann nur genau so enden, aber der Leser darf es nicht merken, bevor er es nicht selbst liest (siehe jedes Ende aller Agatha Christie Romane).
Beispiel Herr der Ringe: Der ganze Grund warum die beiden Hobbits auf ihrer Reise nach Mordor im dritten Band Gollum treffen, ist, weil Tolkien ihn ganz am Schluss für die Auflösung brauchte. Jeder, der der Handlung folgt, weiß, dass keiner der drei Ringträger die Kraft haben wird das Artefakt aus freiem Willen zu zerstören. Es muss also ein Unfall sein und Gollum hat genau deswegen die Rolle des tragischen und vor allem entbehrlichen Helden.