Drei häufige Probleme bei Kurzgeschichten

Abhandlungen über die verschiedenen Merkmale eine Kurzgeschichte gibt es im Netz genug.

Dieser Beitrag soll also nicht noch ein weiteres Mal alle notwendigen oder relevanten Eigenschaften dieses Genres aufzählen. Vielmehr würde ich mich gerne auf die drei häufigsten Probleme beschränken, welche Kurzgeschichten mitbringen, wenn sie schließlich bei mir zum Lektorat landen.

  1. Erklärungen

Der Autor beginnt zu schreiben und denkt sich in seiner Unschuld: Hey, ich habe hier zwei Protagonisten, die sich im Café unterhalten, aber der Leser weiß ja gar nicht wer das ist, oder wo sie sind. Also erkläre ich das erst mal.

Diese Erklärungen, so gut sie auch gemeint sind, sind Gift für eine Kurzgeschichte. Sie bringen jede Handlung zu einem knirschenden Halt. Kurzgeschichten steigen unvermittelt in die Handlung ein, oft mitten in einem Dialog, und der ganze Sinn des Genres ist es dem Leser eben genau nicht zu erklären was los ist. Der Leser liest weiter, weil er ja herausfinden will, worum es eigentlich geht.

Im Gegenteil: Oft enthält der Autor essentielle Informationen bewusst zurück, um den Leser gezielt auf eine falsche Fährte zu locken. Wichtige Informationen nicht zu bekommen ist ein Konflikt den der Leser einer Kurzgeschichte aushalten können muss. Der Autor stellt dem Leser so wenig Informationen zur Verfügung wie nur irgendwie möglich.

  1. Wendungen

Ich schreibe also eine Geschichte um den Dialog zweier Protagonisten in einem Café. Der Eine verkündet am Anfang, dass er über den gemeinsamen Urlaub reden wird und dann passiert genau dass. Danach gehen beide nach Hause.  Leider habe ich keine Geschichte geschrieben, sondern einen Tagebucheintrag, und zwar einen langweiligen.

Wenn der Eine seinem Kumpel von seinen endlosen Wanderungen erzählt und sich am Ende (am besten in der letzten Zeile) herausstellt, dass der Andere in der Zeit eine Affäre mit der Frau besagten Kumpels hatte, dann kommen wir einer Kurzgeschichte schon näher.

Eines der Hauptmerkmale einer Kurzgeschichte ist die überraschende Wendung. Es ist auch das eine Merkmal, das von Autoren am Anfang ihres Schreibens am häufigsten ignoriert wird. Diese überraschende Wendung am Schluss hat eine wichtige psychologische Funktion, denn ohne sie kann es passieren, dass sich der Leser zum Schluss fragt: Warum habe ich das jetzt gelesen? Die Wendung garantiert, dass der Leser aus der Geschichte stattdessen das Gefühl mitnimmt: Wow, damit habe ich jetzt nicht gerechnet.

  1. Konflikte

Jede Geschichte, die wir erzählen braucht einen Konflikt. Dieser Konflikt ist meist auch der Aufhänger und Grund, warum der Autor die Geschichte überhaupt erzählen will. Der Konflikt kann zum Beispiel sein, dass der Eine immer lange Wanderungen mit seinem Kumpel im Urlaub machen wollte, sein Freund aber in der Zeit immer was Besseres zu tun hatte. Auch ein junger Autor schafft es meist seinen Konflikt gut und überzeugend zu etablieren. Es gibt jedoch ein seltsames Phänomen, dass sich erstaunlich hartnäckig wiederholt. Der Autor etabliert seinen Hauptkonflikt, der Eine fragt seinen Kumpel, was der eigentlich immer macht, während er wandern geht… und der Autor hört einfach auf zu schreiben. Geschichte zu Ende.

Meine Vermutung ist, dass diese Geschichten entstehen, wenn der Autor einfach mal mit einer Idee drauflos schreibt. Wenn man nicht gerade Stephen King heißt, geht das in aller Regel schief. Dann kommt man nämlich bei der Etablierung des Konfliktes an und weiß prompt nicht weiter. Jeder Konflikt muss jedoch gelöst werden. Wenn ich meinen Konflikt nicht löse, fragt sich der Leser immer noch, warum er die Geschichte jetzt eigentlich gelesen hat. Hier liegt auch der Hauptgrund für die überraschende Wendung. Dem Leser wird eine vollkommen unerwartete Lösung des Konflikts geboten. Diese überraschende Wendung (hauptsächlich am Schluss) ist nicht einfach zu schreiben, weswegen es eine Faustregel bei der Konstruktion von Kurzgeschichten gibt, die besagt, dass man die Geschichte rückwärts schreibt. Man konstruiert das Ende und arbeitet sich dann langsam zeitlich zurück an den Anfang. So stellt man sicher, dass alle Elemente auch tatsächlich enthalten sind.

In meiner Geschichte würde der Eine am Ende des Gesprächs ausstehen und dem Anderen für einen schönen Urlaub danken, woraufhin der Kumpel tot vom Stuhl rutscht, weil sein Kaffee vergiftet war. Der Eine mag nämlich lange Wanderungen, ist aber auch nicht blöde.

 

 

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